Search engine for discovering works of Art, research articles, and books related to Art and Culture
ShareThis
Javascript must be enabled to continue!

BUNTE TRÄUME

View through CrossRef
Seien wir ehrlich: Den Mann kannten wir bislang nicht. Und auch nicht seine Werke für Orchester, Chor, Klavier und Kammerensembles. Ursächlich für diese sträfliche Repertoire-Lücke ist die traurige Tatsache, dass der kroatische Komponist Bla -goje Bersa (1873–1934) zwar in seiner Heimat eine Größe war, jenseits der Grenzen aber kaum rezipiert wurde. Insofern darf man die soeben beim Label Hänssler Classics erschienene «world premiere recording» seiner Lieder als eine lohnende Entdeckung bezeichnen – und als stichhaltigen Beweis dafür, dass es sich lohnt, abseits der hinlänglich ausgetretenen Pfade Erkundungen einzuziehen. Bersa, das wird schnell klar, macht keinen Hehl aus seiner Prägung durch die «deutschen Meister» Wagner und Strauss sowie speziell durch die Wiener Spätromantik; seine Lehrer Robert Fuchs und Julius Epstein unterwiesen immerhin solche (Lied-)Größen wie Gustav Mahler, Alexander Zemlinsky und Hugo Wolf. Bersa greift deren Traditionen auf, individualisiert und «lokalisiert» sie aber durch eine eigene idiomatische Note, indem er Elemente der kroatischen Volksmusik hinzufügt und einen stupenden melodischen Erfindungsreichtum walten lässt. Als wesentliche Inspirationsquelle dienen ihm, insbesondere in den deutschsprachigen Liedern, einige bedeutende Dichter der Romantik, allen voran Heinrich Heine, aber auch Wilhelm Müller (ohne den Schuberts Lied-Zyklen im Grunde kaum denkbar wären), Johann Gottfried Herder, Mikhail Lermontov und – man staunt nicht schlecht – Henrik Ibsen. In dessen Gedicht «Ein Schwan» erkennt man sogleich den Dramatiker einer genuin skandinavischen Resignation und schmerzlichen Vergeblichkeit. Entsprechend dunkel ist die (zugegeben etwas eklektisch angewehte) Klangwelt, in die Bersa in seiner Vertonung eintaucht, doch setzt er Ibsens tiefsitzendem Pessimismus vor allem zu Beginn und am Ende des Liedes einige lichte Momente entgegen, sowie grosso modo ein mildtönendes, nur von Zeit zu Zeit verschattetes Klangbild. Die Musik wandelt zwischen den Extremen, und so tun es die beiden Interpreten, der nuanciert singende, guttural-grabesdunkle Bassbariton Krešimir Stražanac (er war sieben Jahre lang Ensemblemitglied des Zürcher Opernhaus) und sein Begleiter, der Pianist Krešimir Starčević. Zart -getünchte Momente wechseln mit expressiv aufgeschäumten ab – ein Entweder-Oder-Spiel. Das gleiche Bild bietet sich in dem Lermontov-Lied «O lache nicht». So als würden zwei Naturen in einen heftigen Streit geraten, folgt auf schwermütig-wolkenverhangene Passagen oder ein tiefes Grollen in der Singstimme und im Klavier der spätromantische Aufruhr. Die Apotheose ist in solchen Momenten nicht fern, doch entscheidet sich Bersa, parallel zu den Versen, schließlich zur Versenkung in den Morast der Trübseligkeit und mit ihm, und das sehr überzeugend, seine Interpreten. Auch in den Heine-Vertonungen zeigt Stražanac dabei ein subtiles Verständnis für die (Un)Tiefen der Klänge, für den Widerstreit der Empfindungen, vor allem im Lied «Mein süßes Lieb, wenn du im Grab»: Mal ist sein Tonfall schmachtend und flehend, empathisch und pathetisch, mal völlig in sich gekehrt, nahezu weltentrückt. Aus diesen Gegensätzen, die von Krešimir Starčević klangvoll unterstützt werden, bezieht diese radikale Interpretation ihren enormen Reiz – bis hin zum Ausbruch des fiktiven Protagonisten, der am Grab seiner Geliebten weint, aber bereit ist, zu ihr hinabzusteigen. Da ist viel Emotion im Spiel, aber eben auch viel sängerisches und pianistisches Potenzial – das sich in den kroatischen Liedern (auf der zweiten CD) dann in einer Art und Weise entfaltet, die schlicht hinreißend ist. Hier spricht das (spät)romantische Ich, inspiriert von Volksweisen und den Texten landeseigener Dichter, ganz unverhüllt und ungeschminkt, hier hat es sämtliche Fesseln abgelegt und entäußert sich ohne Wenn und Aber. Die Verse zu einigen der Stücke hat Josip Bersa, der Bruder des Komponisten, beigesteuert, und wie glücklich diese Familienbande wirkt, zeigt sich schon im Lied «Oj sanci, vi šareni sanci» («Ach ihr Träume, ihr bunten Träume»), einer gestisch wie musikalisch an vergleichbare Stücke von Tschaikowsky und Rachmaninov erinnernden Hommage an das schöne Leben und die hingebungsvolle Liebe. Krešimir Stražanac singt das, klangmächtig von seinem Pianisten begleitet, mit einer unbedingten Inbrunst, die ihresgleichen sucht, aber dennoch die enorme technische Sicherheit des Bassbaritons belegt: schwärmerisch, schwelgerisch, schwülstig – aber nie kitschig. Fast noch schöner, intensiver, umwerfender gelingt ihm und Starčević das Lied «Ja te ljubim», ebenfalls auf Verse Josip Bersas. Wir werden Zeuge eines Liebestraums auf einer Wiese mit blühenden Blumen. Ja, so klingt sie, die pure Poesie in Tönen. Eigentlich will man gar nicht mehr heraus aus dieser Klangwelt, so üppig, so naturhaft, so ursprünglich und anmutig ist sie. Was wir daraus lernen: Manche Neuentdeckung belebt den Geist und ebenso das Herz. Dieses wunderbare Album ist der beste Beweis. Und den Namen Blagoje Bersa sollte man sich merken! Olga Myschkina
Title: BUNTE TRÄUME
Description:
Seien wir ehrlich: Den Mann kannten wir bislang nicht.
Und auch nicht seine Werke für Orchester, Chor, Klavier und Kammerensembles.
Ursächlich für diese sträfliche Repertoire-Lücke ist die traurige Tatsache, dass der kroatische Komponist Bla -goje Bersa (1873–1934) zwar in seiner Heimat eine Größe war, jenseits der Grenzen aber kaum rezipiert wurde.
Insofern darf man die soeben beim Label Hänssler Classics erschienene «world premiere recording» seiner Lieder als eine lohnende Entdeckung bezeichnen – und als stichhaltigen Beweis dafür, dass es sich lohnt, abseits der hinlänglich ausgetretenen Pfade Erkundungen einzuziehen.
Bersa, das wird schnell klar, macht keinen Hehl aus seiner Prägung durch die «deutschen Meister» Wagner und Strauss sowie speziell durch die Wiener Spätromantik; seine Lehrer Robert Fuchs und Julius Epstein unterwiesen immerhin solche (Lied-)Größen wie Gustav Mahler, Alexander Zemlinsky und Hugo Wolf.
Bersa greift deren Traditionen auf, individualisiert und «lokalisiert» sie aber durch eine eigene idiomatische Note, indem er Elemente der kroatischen Volksmusik hinzufügt und einen stupenden melodischen Erfindungsreichtum walten lässt.
Als wesentliche Inspirationsquelle dienen ihm, insbesondere in den deutschsprachigen Liedern, einige bedeutende Dichter der Romantik, allen voran Heinrich Heine, aber auch Wilhelm Müller (ohne den Schuberts Lied-Zyklen im Grunde kaum denkbar wären), Johann Gottfried Herder, Mikhail Lermontov und – man staunt nicht schlecht – Henrik Ibsen.
In dessen Gedicht «Ein Schwan» erkennt man sogleich den Dramatiker einer genuin skandinavischen Resignation und schmerzlichen Vergeblichkeit.
Entsprechend dunkel ist die (zugegeben etwas eklektisch angewehte) Klangwelt, in die Bersa in seiner Vertonung eintaucht, doch setzt er Ibsens tiefsitzendem Pessimismus vor allem zu Beginn und am Ende des Liedes einige lichte Momente entgegen, sowie grosso modo ein mildtönendes, nur von Zeit zu Zeit verschattetes Klangbild.
Die Musik wandelt zwischen den Extremen, und so tun es die beiden Interpreten, der nuanciert singende, guttural-grabesdunkle Bassbariton Krešimir Stražanac (er war sieben Jahre lang Ensemblemitglied des Zürcher Opernhaus) und sein Begleiter, der Pianist Krešimir Starčević.
Zart -getünchte Momente wechseln mit expressiv aufgeschäumten ab – ein Entweder-Oder-Spiel.
Das gleiche Bild bietet sich in dem Lermontov-Lied «O lache nicht».
So als würden zwei Naturen in einen heftigen Streit geraten, folgt auf schwermütig-wolkenverhangene Passagen oder ein tiefes Grollen in der Singstimme und im Klavier der spätromantische Aufruhr.
Die Apotheose ist in solchen Momenten nicht fern, doch entscheidet sich Bersa, parallel zu den Versen, schließlich zur Versenkung in den Morast der Trübseligkeit und mit ihm, und das sehr überzeugend, seine Interpreten.
Auch in den Heine-Vertonungen zeigt Stražanac dabei ein subtiles Verständnis für die (Un)Tiefen der Klänge, für den Widerstreit der Empfindungen, vor allem im Lied «Mein süßes Lieb, wenn du im Grab»: Mal ist sein Tonfall schmachtend und flehend, empathisch und pathetisch, mal völlig in sich gekehrt, nahezu weltentrückt.
Aus diesen Gegensätzen, die von Krešimir Starčević klangvoll unterstützt werden, bezieht diese radikale Interpretation ihren enormen Reiz – bis hin zum Ausbruch des fiktiven Protagonisten, der am Grab seiner Geliebten weint, aber bereit ist, zu ihr hinabzusteigen.
Da ist viel Emotion im Spiel, aber eben auch viel sängerisches und pianistisches Potenzial – das sich in den kroatischen Liedern (auf der zweiten CD) dann in einer Art und Weise entfaltet, die schlicht hinreißend ist.
Hier spricht das (spät)romantische Ich, inspiriert von Volksweisen und den Texten landeseigener Dichter, ganz unverhüllt und ungeschminkt, hier hat es sämtliche Fesseln abgelegt und entäußert sich ohne Wenn und Aber.
Die Verse zu einigen der Stücke hat Josip Bersa, der Bruder des Komponisten, beigesteuert, und wie glücklich diese Familienbande wirkt, zeigt sich schon im Lied «Oj sanci, vi šareni sanci» («Ach ihr Träume, ihr bunten Träume»), einer gestisch wie musikalisch an vergleichbare Stücke von Tschaikowsky und Rachmaninov erinnernden Hommage an das schöne Leben und die hingebungsvolle Liebe.
Krešimir Stražanac singt das, klangmächtig von seinem Pianisten begleitet, mit einer unbedingten Inbrunst, die ihresgleichen sucht, aber dennoch die enorme technische Sicherheit des Bassbaritons belegt: schwärmerisch, schwelgerisch, schwülstig – aber nie kitschig.
Fast noch schöner, intensiver, umwerfender gelingt ihm und Starčević das Lied «Ja te ljubim», ebenfalls auf Verse Josip Bersas.
Wir werden Zeuge eines Liebestraums auf einer Wiese mit blühenden Blumen.
Ja, so klingt sie, die pure Poesie in Tönen.
Eigentlich will man gar nicht mehr heraus aus dieser Klangwelt, so üppig, so naturhaft, so ursprünglich und anmutig ist sie.
Was wir daraus lernen: Manche Neuentdeckung belebt den Geist und ebenso das Herz.
Dieses wunderbare Album ist der beste Beweis.
Und den Namen Blagoje Bersa sollte man sich merken! Olga Myschkina.

Related Results

The trauma of apathy : two playwrights of post-Yugoslav nowhereland (Ivana Sajko and Biljana Srbljanović)
The trauma of apathy : two playwrights of post-Yugoslav nowhereland (Ivana Sajko and Biljana Srbljanović)
Trauma apatije : dvije dramatičarske postjugoslavenske nigdine (Ivana Sajko i Biljana Srbljanović U dramama hrvatske autorice Ivane Sajko i srpske dramatičarke Biljane S...
Rockstars brauchen doch kein Einmaleins!
Rockstars brauchen doch kein Einmaleins!
Ein neues Schuljahr, ein neues Abenteuer für Ella und ihre Klassenkameradinnen und -kameraden. Vor allem Pekka hat es dieses Jahr gar nicht so leicht. Er muss das Einmaleins lernen...
Are Guessing, Source Coding and Tasks Partitioning Birds of A Feather?
Are Guessing, Source Coding and Tasks Partitioning Birds of A Feather?
This paper establishes a close relationship among the four information theoretic problems, namely Campbell source coding, Arikan guessing, Huleihel et al. memoryless guessing and B...
Synthesis and applications of crosslinker TETS
Synthesis and applications of crosslinker TETS
PurposeThis paper aims to synthesise a novel crosslinker (crosslinker triethylthiosulphate (TETS)) which contains three Bunte groups in its molecule. The crosslinker is able to rea...
Bunte Karte, bunte Wahlen? AfD-Präferenzen jenseits von Ost und West
Bunte Karte, bunte Wahlen? AfD-Präferenzen jenseits von Ost und West
Abstract The sharp East-West difference that emerges in the cartographic representation of regional election results changes significantly once regional-specific cha...
Bunte salts
Bunte salts
Citation: 'Bunte salts' in the IUPAC Compendium of Chemical Terminology, 3rd ed.; International Union of Pure and Applied Chemistry; 2006. Online version 3.0.1, 2019. 10.1351/goldb...
Gerhard Roths späte Romane
Gerhard Roths späte Romane
Readers are often mystified by the late work of Gerhard Roth, the Austrian author who died in 2022. Hans-Bernd Bunte’s book on Roth’s last five novels undertakes a detailed search ...

Back to Top